Wir leben ohnehin in einer Zeit, die sich auf Leistung und Effizienz fokussiert. Wer wenig schläft, gilt bei vielen zusätzlich als engagiert und besonders produktiv. Auf der anderen Seite sagt man: Wer schläft, sündigt nicht. Der Schlaf wird also in unserer Kultur durchaus widersprüchlich bewertet. Allerdings gibt es Berufsgruppen, die auch in der Nacht arbeiten müssen, und den Schichtarbeitern können die unterschiedlichen Ansichten über die Nachtruhe am Ende doch egal sein.
Ob Pflegekraft oder Krankenschwester, viele arbeiten heute in drei Schichten, weil es die beruflichen Anforderungen so verlangen. Jeder sechste Bundesbürger ist mittlerweile in Schichtarbeit beschäftigt, und die Tendenz steigt. Allerdings sind dann oft allgemeine Schlafstörungen die Folge, denn die wechselnden Arbeitszeiten entsprechen nicht der menschlichen Natur.
Das Schichtarbeiter Syndrom: Anhaltende Müdigkeit
Und es ergeben sich mit der Zeit auch allgemeine Schlafstörungen bei der Schichtarbeit. Nach dem Wechsel auf Frühschicht ist es keinesfalls so, dass die Ruhezeiten einfach umgestellt werden können. Zum Schichtarbeiter Syndrom gehört auch, dass das gesamte Schlafverhalten durcheinander gerät. Denn die Biologie will sich durchaus nicht an den durch die Arbeitsorganisation vorgegebenen Rhythmus halten und reagiert mit chaotischen Verhaltensweisen.
Warum wir den Schlaf brauchen
Die Genetik bestimmt den Menschen zu einem tagaktiven Lebewesen. Er schläft während der Dunkelheit, denn am Abend, mit fehlendem Sonnenlicht, produziert der Organismus verstärkt den Botenstoff Melatonin, der uns schläfrig macht. Zusätzlich braucht das Gehirn einen weiteren Botenstoff, das Adenosin. Es sammelt sich mit fortschreitender Wachheit außerhalb der Nerven an. In der ersten Hälfte der Nacht sinkt dann der Spiegel des Wachmachers Cortisol, so dass wir in einen tiefen und festen Schlaf sinken können. Für eine nachhaltige Erholung sind diese biologischen Komponenten äußerst wichtig. Durch unregelmäßige Ruhephasen kommt ihr Gleichgewicht erheblich durcheinander, und es entstehen Schlafstörungen bei Schichtarbeit. In diversen Studien wurde mittlerweile nachgewiesen, dass Nachtarbeiter weniger Melatonin im Blut haben.
Der biologische Schlaf-Wach-Rhythmus verträgt sich nicht mit den wechselnden Schlafzeiten, die durch die Schichtzeiten vorgegeben werden. Daraus entwickelt sich allmählich ein Verhalten, bei dem die betroffenen Beschäftigten allgemein zu wenig schlafen. Damit fehlt ihnen aber die nötige Zeit für die Regeneration der Psyche und des Organismus. Denn ein fester und tiefer Schlaf, der ausreichend lange dauert, ist die Voraussetzung für eine nachhaltige Erholung. Der Schichtarbeiter aber arbeitet gegen seine innere Uhr, die genetisch gesteuert wird. Er arbeitet, wenn er ruhen sollte. Und er schläft, wenn die Biologie von ihm Aktivität erwartet.
Als Folge entsteht ein Gefühl ständiger Unausgeglichenheit. Viele Schichtarbeiter reagieren mürrisch, gereizt und vielfach unzufrieden auch bei geringen Anlässen. Damit ergeben sich Spannungen im unmittelbaren Umfeld der Betroffenen. Auch anhaltende Beziehungsprobleme und soziale Krisen sind bei Schichtarbeitern häufig zu beobachten.
Gesundheitliche Folgen der Schichtarbeit: Kann Schichtarbeit krank machen?
Weil der Schlaf-Wach-Rhythmus biologisch festgelegt ist und mit den zeitlichen Vorgaben der Industriegesellschaft schlecht zusammenpasst, ergeben sich oft sogar gesundheitliche Probleme. Denn der mangelnde Schlaf führt sogar dazu, dass der Betroffene körperlich und psychisch nicht ausreichend regenerieren kann. Besonders aus diesem Grund kann Schichtarbeit krank machen.
Störungen der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses sind als Folge der Nachtarbeit wissenschaftlich hinreichend belegt. Am Arbeitsplatz kommt es nachts häufiger zu Unfällen, am Tag – als Folge der nächtlichen Aktivität – Fehlleistungen im Straßenverkehr. Offensichtlich kann Schichtarbeit sogar zu ernsthaften Erkrankungen führen. Häufig entwickeln Schichtarbeiter Depressionen. Übergewicht, Magenprobleme und Herz-Kreislauf-Probleme sind bei ihnen überproportional verbreitet. Das Risiko, von einer Stoffwechselerkrankung wie Diabetes betroffen zu sein, ist deutlich erhöht. Einige Krebsarten treten beim Arbeiten in drei Schichten häufiger auf. 2019 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die ständige Nachtschicht als höchstwahrscheinlich krebsfördernd eingestuft.
Seit geraumer Zeit ist nämlich außerdem bekannt, dass im Schlaf wesentliche Reparaturprozesse im Körper vonstatten gehen. Die Störung dieser Abläufe durch wechselnde Schlafenszeiten wird bereits seit geraumer Zeit von vielen Experten als Ursache für das Entstehen von Krebs angesehen. Den genauen Zusammenhang konnten Forscher in Seattle herausfinden. Am Fred Hutchinson Forschungsinstitut stellten die Mediziner fest, dass die Reparaturprozesse im Organismus bei Nachtarbeitern gestört sind. Im Urin wurden bei mehr als 200 Probanden spezielle Biomarker nachgewiesen, die mit dem Ausbleiben von nötigen Reparaturen an der DNA in Verbindung stehen. In der Folge kommt es dann zu genetischen Mutationen, die schließlich zu Krebs führen können.
Tipps für besseren Schlaf bei Schichtarbeit
Wenn der Schlaf nicht kommen will, greifen viele zu Medikamenten. Aber diese Art der Problemlösung ist nur in wirklich medizinisch ernsten Situationen zu empfehlen. Zwar helfen die Beruhigungsmittel zunächst, aber bald verlieren sie ihre Wirkung und höhere Dosen werden notwendig. Am Ende droht eine Abhängigkeit, und die allgemeine Situation des Patienten wird auf diese Weise nur verschlimmert.
1. Natürliche Hilfsmittel
Einfache Hilfsmittel sind bei Schlafmangel wirkungsvoller und garantiert ohne Nebenwirkungen. Der traditionelle Ohrstöpsel hat sich gegen Lärmattacken bestens bewährt, die Schlafbrille sorgt für die notwendige Verdunkelung, wenn keine Rollos vorhanden sind oder die Vorhänge nicht gegen den Lichteinfall ausreichen.
2. Geräusche (soweit möglich) steuern
Begleitgeräusche schaffen eine neutrale Atmosphäre. Der vertraute Radiosender lenkt ab, ein Ventilator überdeckt den Lärm des Tages. Telefon und Türklingel kann man auch abschalten, ein Schild an der Schlafzimmertüre, dass Störungen zur Zeit nicht gewünscht sind, informiert noch den vergesslichsten Hausgenossen.
3. Wie schlafen bei Schichtarbeit?
Soweit die praktischen Tipps für besseren Schlaf bei Schichtarbeit. Einige Experten empfehlen darüber hinaus, der Schichtarbeiter sollte sich stundenweise an die Nachtschicht „heranschlafen“. Allerdings widerspricht diese Methode der Maxime, dass feste Schlafzeiten bei Schlafstörungen zu beachten sind. Einen Versuch ist es aber allemal wert, und wenn es hilft, ist es richtig.
Sich ausreichend auf die Nacht vorzubereiten ist mit Sicherheit eine gute Methode, um besser in den Schlaf zu kommen. Die üblichen Rituale nicht vergessen, Zähneputzen und früh das Zimmer abdunkeln. Lesen beruhigt und kann sogar schläfrig machen, ein spannender Film vor dem Zubettgehen ist ein schlechter Beginn der Ruhephase. Musik sortiert die Hemisphären des Gehirns und gleicht Stimmungen aus. Schwierige gedankliche Themen sollten ab 20 Uhr auf den nächsten Tag verschoben werden – zur weiteren Bearbeitung.
4. Täglich ein Nickerchen halten: ja oder nein?
Wie wir schlafen bei Schichtarbeit, können wir also beeinflussen. Wer häufig zu wenig Schlaf findet, neigt auch zu kurzen Nickerchen. Mediziner sind sich – wie so häufig – auch in dieser Frage nicht einig. Die einen sagen, die Schlafqualität des Kurzschlafs sei minderwertig und mit einer erholsamen Nachtruhe nicht vergleichbar. Andere behaupten, man könne alle langen und kurzen Schlafphasen einfach über den Tag zusammenaddieren. Dann kann doch noch eine ausreichende Gesamtzeit herauskommen.
Der Schichtarbeiter kann während der nächtlichen Aktivität auch Getränke zu sich nehmen, die einen moderaten Koffein-Anteil haben. Das Wachverhalten verbessert sich und fördert somit die Müdigkeit am Tag. Nach der Schicht sollte die Mahlzeit aber nicht zu üppig ausfallen, denn schwer verdauliche Speisen verhindern das Einschlafen oder verzögern es zumindest.
5. Gegensteuern mit einem gesunden Lebensstil
Wenigstens zum Teil können Schichtarbeiter gegen die entstehenden gesundheitlichen Nachteile vorgehen oder dieselben wenigstens ausgleichen. Wer die Mahlzeiten regelmäßig einnimmt und auf eine vollwertige und abwechslungsreiche Ernährung achtet, belastet den Organismus nicht noch zusätzlich. Und die gesunde Nahrung sorgt zusätzlich dafür, das Stoffwechselprodukte kontinuierlich ausgeschieden werden und nicht dauerhaft belasten. Regelmäßige und ausreichende Bewegung hat einen ähnlichen Effekt. Und negativer Stress ist ohnehin immer eine Belastung nicht nur für die Psyche, weshalb man ihn vermeiden sollte. Mit einer entsprechenden Lebensführung kann man also gesundheitliche Folgen durchaus vermeiden.